Zum Inhalt springen

Weiter so mit „grünem Erdgas“?

Stand jetzt wird es kein Fernwärmenetz geben“, erklärte Dr. Kai-Uwe Dettmann zum Thema der kommunalen Wärmeplanung. Allerdings betont der Technische Geschäftsführer der Stadtwerke Velbert auch, dass das „natürlich keine Entscheidung der Geschäftsführung oder einzelner Verantwortlicher“ sei, „sondern das gesamte Thema liegt letztendlich in der Verantwortung der Kommune“.

Netz mit Methangas weiter betreiben:

Seine „persönliche Vorstellung“ sei – so im ausreichenden Maße verfügbar – der Bezug von grünem Wasserstoff. „Man würde einen Methaniseur vor Ort installieren und dann Methangas ins bestehende Netz einspeisen.“ Das brächte einen doppelten Vorteil: Die rund 21.000 Kunden, die mit Gas heizten, müssten nichts ändern; ebenso wenig die Firmen. Zweitens könnten die Stadtwerke ihr vorhandenes Netz weiter betreiben und brauchten nur einmal an einer Stelle investieren.
Aber eigentlich ist ja noch alles offen. Wir stehen schließlich erst am Anfang der Überlegungen.“

WAZ Velbert, 05.07.2023

Schauen wir im Folgenden also mal, welche Probleme da zu lösen wären.

Technisch bedeutet der „Lösungsvorschlag“:

  • mit grünem Strom (von dem wir noch lange nicht genug haben) mittels Elektrolyse
    aus Wasser (H2O) Wasserstoff (H2) erzeugen,
  • aus dem Wasserstoff (H2) und CO2 (aus der Atmosphäre) wieder Methan (CH4) erzeugen
    (CO2 + 4H2 → CH4 + 2H2O),
  • Transport von Wasserstoff bzw. Methan von den Erzeugerorten, Verteilen im städtischen Erdgasnetz,
  • Wärmeerzeugung in weiterbetriebenen und neu errichteten Gasheizungen (unter dezentraler und daher nicht kreislauffähiger Emission von CO2).

Der Gasverbrauch in Velbert (ausgespeiste Jahresarbeit laut Stadtwerke) betrug 2022 rund 590 Millionen kWh Gas. [1]
Das entspricht rund 59 Millionen m3. Aus dem Molgewicht von Methan ergibt sich, dass rd. 41.600 Tonnen Methan als „grünes Erdgas“ herzustellen wären, damit Dr. Dettmanns Idee, realisiert werden kann.

„Grüner Wasserstoff“ bedeutet, dass dieser mittels Elektrolyse unter Einsatz von 100% erneuerbarem Ökostrom erzeugt wird.[2]
Die Produktion grünen Wasserstoffs kostet bei der Verwendung von Solarstrom aktuell knapp 6 €/kg Wasserstoff, bei Windenergie etwa 4 €/kg. [3] Die für die Zukunft prognostizierten Kosten der Erzeugung von grünem Wasserstoff gibt das FDP-geführte Bundesforschungsministerium (BMBF) mit 2,5 € pro Kilogramm an 1. [4]
Die Transportkosten vom Erzeugungsort (genannt wird Westafrika) sind darin allerdings nicht enthalten. [5]

Das Kohlendioxid für die Methanisierung müsste aus der Luft abgeschieden werden (sog. Direct Air Capture, DAC).
Denn: „Bei Entnahme von CO2 aus Punktquellen ist im Hinblick auf den Klimawandel zu bedenken, dass gefangenes CO2 aus fossilen Quellen bei stofflicher Nutzung lediglich einmal wiederverwendet wird, ehe es endgültig in die Atmosphäre gelangt.“ [6]
Die Mindestkosten der Abscheidung von CO2 werden vom KIT mit 125 € (in 2020) und 41 € pro Tonne (in 2050) angegeben.

CO2-Gewinnung aus der Luft

Der CO2-Gehalt der Luft beträgt aktuell ca. 423 ppm. Der Mensch ist für eine Erhöhung um ca. 140 ppm oder 50% verantwortlich. Der steigende CO2-Gehalt bedroht durch die Erderwärmung unsere Gesellschaften. Gleichzeitig ist der Gehalt so gering, dass für die Gewinnung von CO2 aus der Atmosphäre (für die Methanisierung von grünem Wasserstoff) ein sehr großer technischer Aufwand erforderlich wäre. Technisch sinnvoller ist die Abscheidung in Kraftwerken2, bei Industrieprozessen oder in Biogasanlagen – also überall dort, wo der Anteil von CO2 im Gasgemisch deutlich höher ist.

Das aufwendig gewonnene Kohlendioxid wird durch die Verbrennung in der Erdgasheizung wieder komplett in die Atmosphäre entlassen – eine Abscheidung von CO2 in jedem einzelnen Haus oder bei Etagenheizungen jedem Haushalt wäre zwar technisch denkbar, würde aber erhebliche Kosten verursachen. Die Nutzung des Wasserstoffes in Brennstoffzellen oder die direkte Nutzung des eingesetzten EEG-Stromes zur Wärmeerzeugung ist da eine bessere Idee.

Eine Studie [7] hat u.a. untersucht, ab welchen Kosten eine ausreichende Produktion von „grünem Erdgas“ im Mittleren Osten/Nordafrika (MENA) für die Jahre 2030 und 2050 zu erwarten sind. Ergebnis: Je nach durchschnittlichen Kapitalkosten (7 bzw. 12%) betragen die Kosten in 2030 zwischen 180 und 220 €/MWh, in 2050 130-170 €/MWh. Dabei ist die kostengünstigste Variante eines Pipeline-Transportes nach Europa angenommen.

Selbst wenn wir die geringeren Kapitalkosten annehmen, bedeutet dies, dass für die 590.000 MWh Gasverbrauch zwischen rd. 106,2 Mio. € (2020) und 76,7 Mio. € (2050) aufzuwenden wären.
Zum Vergleich: 2021 lag der Materialaufwand der Stadtwerke Velbert in der Sparte Gas bei 14,5 Mio. €. Die Gasbeschaffung ist ein kleinerer Teil davon. Wir reden also von mindestens um den Faktor 5 bis 7 höheren Erdgaspreisen.

Bis 2045 summieren sich allein die zusätzlichen Verbrauchskosten auf 1,8 Mrd. €. Dagegen sieht ein angeführter Investitionsbedarf von 2,54 Mrd. € für Sanierung und Heizungswechsel hin zu Wärmepumpen (der bleibende Werte schafft) richtig gut aus.

Fazit

Die Nutzung von „grünem Erdgas“ zu Heizzwecken benötigt sehr viel grünen Strom.
Es bleibt von einer Kilowattstunde grünem Strom nach der Umwandlung in künstliches Methan nur gut eine halbe Kilowattstunde zum Heizen übrig. Mit einer Wärmepumpe könnten aus der gleichen Menge grünem Strom über drei Kilowattstunden Wärme bereitgestellt werden. [8]

Es steigen nicht nur die Kosten. Da der Energiebedarf für „grünes Erdgas“ so viel höher ist, müssten auch mehr Flächen und Rohstoffe für Windkraft und Photovoltaik verbraucht werden, als dies bei effizienteren Technologien der Fall ist. Es würde damit auch länger dauern, die Erzeugungsanlagen für diese Strommengen in Betrieb zu nehmen.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufbau der entsprechenden Infrastruktur nicht nur Geld, sondern auch Zeit kostet. So betrug die reine Bauzeit für die NordStream 1 – Pipeline zwar nur rund 7 Jahre (2005–2012). Das Projekt selbst wurde aber bereits 1995 begonnen. Und wie die weitere Geschichte dieser und ihrer „Schwester-Pipeline“ zeigt, ist die Abhängigkeit von potenziell instabilen Regionen nicht gerade förderlich für die heute viel beschworene Energiesouveränität. Man stelle sich einmal vor, was passieren würde, wenn aufgrund eskalierender politischer Unruhen im Nahen Osten die Wasserstoff-Lieferung nach Europa eingestellt wird – und dass in einer Zeit, in der keine alternativen Gaslieferanten zur Verfügung stehen …

Auch wenn das Konzept von der „Grün-Gas-Heizung“ auf den ersten Blick verlockend erscheint, da ja sowohl bei den Stadtwerken als auch bei den Endverbraucher*innen die bestehende Infrastruktur weiter genutzt wird, zeigt eine genauere Betrachtung im Vergleich mit den möglichen Alternativen gravierende Schwächen. Außerdem würde die Chance verspielt, den notwendigen Umbau unseres Wärmesystems so vorzunehmen, dass nicht nur weiterhin verlässlich Wärme (und Kälte) erzeugt werden können, sondern dass wir gleichzeitig einer echten Energiesouveränität ohne Abhängigkeit von Oligarchien und Diktaturen einen großen Schritt näher kommen.

Der Vorschlag des technischen Geschäftsführers der Velberter Stadtwerke (und der Gas-Industrie) zielt dagegen nach meiner Einschätzung darauf ab, möglichst lange weiter mit Erdgas zu heizen, da ja noch auf lange Sicht „leider“ weder genügend grüner Strom, grüner Wasserstoff und letztlich auch „grünes Erdgas“ zu tragfähigen Kosten verfügbar sein werden, um damit das „Konzept“ umzusetzen. Da man aber die Alternativen auf diese Weise wirksam verhindert hat, muss man dann „schweren Herzens“ weiter fossiles Gas verfeuern und die Aufheizung unseres Planeten weiter vorantreiben.

Fußnoten

  1. Es erklärt übrigens auch, dass es, was Gebäudewärme betrifft, bereits heute effizientere Alternativen zum Einsatz von Wasserstoff gibt.
  2. Allerdings muss man berücksichtigen, dass mit dem kontinuierlichen Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger die Zahl der Kraftwerke schrittweise bis auf Null zurückgehen wird.

Quellen:

[1] https://www.stadtwerke-velbert.de/fileadmin/documents/netze/gas/strukturdaten-gas-2022.pdf
Der Jahresabschluss der Stadtwerke 2021 spricht von einer Gasnetzmenge von 714,4 MWh (Vorjahr: 646,2 MWh).
Hier wurden wohl MWh und GWh verwechselt.

[2] Andere „Farben“ von Wasserstoff werden hier erläutert:
https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/was-bedeuten-die-farben-von-wasserstoff/

[3] Was kostet Wasserstoff? https://solarenergie.de/hintergrundwissen/wasserstoff/preis
Aufgrund der Molmassen von Kohlendioxid (44 g/mol) und Wasserstoff (2 g/mol) resultiert folgende Massenbilanz:
114.400 t Kohlendioxid und 20.800 t Wasserstoff ergeben die benötigten 41.600 t Methan und zudem 93.600 t Wasser.
Allein für den Wasserstoff ergeben sich so zwischen 52 Mio. €/a und 83,2 Mio. €/a.

[4] Wissenswertes zu Grünem Wasserstoff
https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/wissenswertes-zu-gruenem-wasserstoff.html

[5] https://www.rolandberger.com/publications/publication_pdf/roland_berger_hydrogen_transport.pdf

[6] Nutzung von CO2 aus Luft als Rohstoff für synthetische Kraftstoffe und Chemikalien
https://vm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/Dateien/PDF/29-01-2021-DAC-Studie.pdf

[7] Angebotskurven strombasierter gasförmiger Brennstoffe in der MENA-Region
https://publica.fraunhofer.de/bitstreams/0856bf41-448d-4697-ad8e-ae792713fe34/download

[8] Haben Gasnetze eine Zukunft?
https://info-de.scientists4future.org/wp-content/uploads/sites/36/2023/04/Policy_Paper_08-Gasversorgung.pdf

Das Beitragsbild zu diesem Blogbeitrag stammt aus Policy-Paper Wärmewende 08-2023, Scientists for Future