In Velbert hat sich am 20.02.2023 ein schwerer Unfall mit einem Güllebehälter ereignet, bei dem nach Presseberichten rd. 700.000 Liter Gülle über den Lünesbach, Hardenberger Bach und Deilbach bis in den Baldeneysee gelangt sind.
Ich habe am Sonntag, den 26.02.23 zufällig am Hardenberger Bach eine Elektrobefischung beobachtet und bei der Fischereibehörde Mettmann nachgefragt.
Diese teilte mir am 20.03.23 mit, es „ist zu vermuten, dass der gesamte Fischbestand im Lünesbach ab der Mündung des Igelsbrucher Baches und im Hardenberger Bach bis zu seiner Mündung in den Deilbach erloschen ist. Es ist weiter zu vermuten, dass die Fischfauna im Deilbach ab der Mündung des Hardenberger Baches geschädigt ist.“
Was können uns freie Geodaten des Landes NRW zu diesem Vorfall sagen?
Gebäude (dazu gehören auch Silos mit dem Schlüssel 51003_1201) findet man als sog. „Hausumringe„. Filtert man die Hausumringe nach diesem Schlüssel findet man schnell die Silos.
Ob und wie diese Silos aktuell verwendet werden ist natürlich zu recherchieren, bevor man diese Daten für Auswertungen nutzt.
Gewässer gibt es in der sog. Gewässerstationierungskarte (GSK) die mit Aktualität 2019 in neuer Auflage 3E vorliegt.
Neben den stationierten Gewässern sind auch die sonstigen Gewässer ohne Gewässerkennzahl von Interesse. Diese stammen aus dem Basis-DLM (also dem digitalen Landschaftsmodell) und enthalten u.a. auch die Angabe ‚unterirdisch‘ für verrohrte Gewässerabschnitte.
Hinzugefügt zur Karte ergibt sich folgendes Bild: Überraschung!
Das Silo steht quasi auf einem verrohrten Gewässer.
Das sollte bei der Baugenehmigung und Gefahreneinschätzung zu denken geben.
Wie würde die Gülle bei einem Unfall ins Gewässer gelangen?
Hierzu ist nicht allein die Entfernung zum Gewässer entsprechend der Gewässerstationierungskarte (GSK) interessant sondern auch das sog. Digitale Geländemodell (DGM).
Das Land NRW stellt ein DGM mit einer Gitterweite von 1m zur Verfügung. Zusammen mit dem
3D-Gebäudemodell (Level of Detail 2) sieht das Silo 3-dimensional dann so aus.
Hier können wir auch die Abmessungen des Bauwerks nachmessen:
Rd. 25 m Durchmesser, Höhe über Gelände rd. 3,8 m macht A = pi * r2 eine Grundfläche von 490 m2
und ein Fassungsvermögen von rd. 1.900 Kubikmetern oder 1,9 Mio. Litern.
Davon sollen laut Presseangaben rd. 700.000 Liter in die Gewässer gelangt sein.
Wie würden diese Mengen denn fließen?
Viele Kommunen haben inzwischen Fließwegeanalysen erstellen lassen, um insbesondere bei Starkregen vor Überraschungen gewappnet zu sein.
Für Velbert sehen diese Fließwege in dem betrachteten Bereich wie folgt aus.
Man kann ganz gut erkennen, dass der Fließweg recht gut dem verrohrten Gewässer folgt und nach rd. 90 m ein unbenanntes Gewässer erreicht, das im Volksmund als Igelsbrucher Bach bezeichnet wird.
Nach weiteren 565 m fließt die Gülle in den Lünesbach. Dieser hat aufgrund seiner Größe bereits eine Gewässerkennzahl (276962392).
Daraus ist erkennbar, dass der Lünesbach nach weiteren 1.497 m in den Hardenberger Bach (276962) und nach weiteren 7.202 m in den Deilbach (27696) fließt.
Die Gewässerstrecke vom Güllesilo bis zur Einmündung in den Deilbach hat eine Länge von 9.354 m.
Wenn die WAZ Velbert (am 4.4.23) berichtet, dass der Bergisch-Rheinische Wasserverband (BRW) 363 tote Fische gezählt hat, ist es Medienkompetenzübung der Leser*in, anzunehmen, dass dies nur einen Bruchteil der betroffenen Tiere angesichts dieser Länge darstellen kann.
Weitere rd. 9 km Gewässerstrecke bis in den Baldeneysee sind ja nach Angaben der Kreisfischereibehörde möglicherweise auch geschädigt.
Welche Fischarten in welcher Anzahl in den Gewässerabschnitten zu finden sind, kann man in einem weiteren Informationssystem des Landes NRW nachschauen, dem sog. FischInfo.
Ich war vor über 10 Jahren u.a. damit beauftragt, die Geodatenbank für das FischInfo neu aufzubauen.
Es finden sich am Hardenberger Bach acht Probenahmestellen mit 14 Befischungen. Unmittelbar unterhalb des Schloss Hardenberg z.B. ruh-01-134 wurden am 08.10.2019 dort auf 300 m befischte Länge 313 Fische (hauptsächlich Groppen, Schmerlen und Bachforellen) gefunden. Unterhalb des Bürgerhauses Langenberg (ruh-01-264) waren es am 24.08.2021 auf 270 m 445 Fische (hauptsächlich Schmerlen).
Dass der Gülleunfall bis zur ultimativen Verdünnung im Baldeneysee eher eine fünfstellige Anzahl tatsächlicher Verluste bedeuten könnte, kommt mir angesichts dieser Zahlen mehr als plausibel vor. Nimmt man den Mittelwert der beiden zitierten Untersuchungsstellen wären es allein bis Langenberg über 12.000 tote Fische. In der Folge könnten auch Wasseramsel und Eisvogel betroffen sein, deren Nahrungsgrundlage teilweise entfallen ist.
Wäre das nicht ein Grund gewesen, amtlicherseits sofort eine Untersuchung der Fischfauna zu veranlassen. Oder seitens der Fischereigenossenschaft an der auch die Stadt Velbert beteiligt ist?
Wie es um die von der Pressesprecherin des Kreises Mettmann beschworenen Selbstheilungskräfte der Natur bestellt ist, ist nicht so leicht abschätzbar. Das hängt auch davon ab, wie stark das Makrozoobenthos geschädigt ist. Ein Geodatensatz, der die Naturnähe der Gewässerabschnitte beschreibt ist z.B. die 5-Bänder-Darstellung der Gewässerstrukturgütekartierung:
Die Daten aus dem Jahr 2020 zeigen, dass der Hardenberger Bach in dem betroffenen Bereich schon im Normalzustand naturfern ist und lange Abschnitte mit der zweitschlechtesten Gewässerstrukturgüteklasse bewertet werden. Es gibt also noch deutliches Potenzial zu einer naturnäheren Entwicklung. Und eigentlich müsste schon seit 2015 der sog. „gute ökologische Zustand“ erreicht sein.
Eine Karte mit den genannten Geodaten findet ihr hier.
Verwendete Kartengrundlagen und Geodaten:
Stadtplanwerk Datenlizenz Deutschland . Namensnennung – Version 2.0
Hausumringe, DGM, 3D-Gebäudemodell LoD2, Gewässerstationierungskarte 3E:
Datenlizenz Deutschland – Zero – Version 2.0